Spät
Von meinem Vater erfuhr ich kurz vor seinem Tod die folgende Geschichte: während des Krieges war er in einer kleinen Stadt im heutigen Polen stationiert und lernte dort eine junge Frau kennen. Sie verliebten sich.
Die Wirren des Krieges brachten sie auseinander. Danach führte jeder sein eigenes Leben. Er heiratete und bekam Kinder. Sie blieb allein. Und doch nahmen sie wieder Kontakt miteinander auf. Nach ihrer Flucht siedelte die Frau in die Nähe des Wohnortes meines Vaters. Sie trafen sich wieder. Erst später, die Frau verstarb, erkannte er, dass sie die Einzige war, die “mich wirklich geliebt hat“. Tränen rannen ihm über die Wangen, als er mir das erzählte.
Kurz nach dem Tod meines Vaters reiste ich im Januar 2004 nach Kamien Pomorski im heutigen Polen, die Stadt, in der er seine Freundin kennen gelernt hatte. Es lag Schnee, das Meer hochgefroren, Minus 18 Grad, There was snow, the sea was frozen, minus 18 degrees, eine Witterung, unbestechlich gegenüber möglichen Versuchen der Verklärung. Ich suchte “Spuren”, durchstreifte Kamien P. und andere Orte der Begegnungen meines Vaters mit der Freundin, die mir aus seinen Erzählungen und den Fotografien der Fotoalben zu Hause bekannt waren. Doch ich fand keine Spuren. Was ich fand war die Einsamkeit eines Menschen, der zu spät erkannt hatte, dass er geliebt wurde. Ich begann meinen Vater im Innersten zu verstehen.
Late
Shortly before his death, I learned the following story from my father: during the war he was stationed in a small town in what is now Poland and met a young woman there. They fell in love.
The chaos of the war drove them apart. After that, each of them led their own lives. He married and had children. She remained alone. And yet they got in touch again. After her escape, the woman settled near where my father lived. They met again. Only later, when the woman died, did he realize that she was the only one who “really loved me.” Tears ran down his cheeks as he told me this.
Shortly after my father’s death, in January 2004, I traveled to Kamien Pomorski in what is now Poland, the city where he had met his girlfriend. There was snow, the sea was frozen, minus 18 degrees, a weather that was incorruptible when it came to attempts at idealization. I looked for “traces,” roamed through Kamien P. and other places where my father had met his girlfriend, which I knew from his stories and the photographs in the photo albums at home. But I found no traces. What I found was the loneliness of a person who had realized too late that he was loved. I began to understand my father deep down.
Photographie: Magrit Dittmann – Soldičić 2005